Kießling siegt vor Gericht gegen OB

Schwere Niederlage für OB Hilbert vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht

Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) hat in einem wichtigen Kommunalverfassungsstreitverfahren eine schwere Niederlage vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht erlitten. Er scheiterte in zweiter Instanz gegen Stadtrat Tilo Kießling (DIE LINKE). Die Ausführungen des 4. Senats des Oberverwaltungsgerichts unter dem Vorsitz der Präsidentin Dahlke-Piel sind: klar, deutlich, vernichtend.

Um welches Problem geht es?
Seit einiger Zeit geht Hilbert immer wieder auf Konfrontationskurs mit dem Stadtrat, will mit dem Kopf durch die Wand und verletzt Stadträte in ihren Rechten. So werden den Ratsmitgliedern für Beschlussfassungen wesentliche Vorlagen und Dokumente immer wieder äußerst kurzfristig und unter Missachtung der hierfür geltenden Fristen übersandt.

Ein gravierendes Beispiel: Die Mitglieder des Finanzausschusses sollten aufgrund einer am Sitzungstag(!) versandten Vorlage darüber votieren, ob der Oberbürgermeister beauftragt wird, eine Ankaufoption für Grundstücke zum Kaufpreis von über 8,6 Mio. Euro auszuüben (Vorlage V0422/20).
Ein weiteres Beispiel: Obwohl der Finanzbedarf in der Stadtverwaltung bereits seit vielen Monaten bekannt war, sollte der Ausschuss für Finanzen kurzfristig – unter Missachtung geltender Fristen – die Bereitstellung von zusätzlich 1,15 Mio. Euro für 20 verschiedene Haushaltspositionen im Regiebetrieb Zentrale Technische Dienstleistungen beschließen (Vorlage V1173/21).

Da die Ratsmitglieder durch dieses rechtswidrige Vorgehen des Oberbürgermeisters wiederholt in der ordnungsgemäßen Ausübung ihrer Aufgaben beeinträchtigt wurden und Hilbert entsprechende Rügen in den Ausschüssen immer wieder abbügelte, setzte sich Stadtrat Tilo Kießling (DIE LINKE) gerichtlich dagegen zur Wehr.

Wie hat das Verwaltungsgericht Dresden entschieden?
Das Verwaltungsgericht Dresden gab der Klage von Stadtrat Tilo Kießling gegen Oberbürgermeister Hilbert in vollem Umfang statt und stellte mit Urteil vom 01. Februar 2023 (Aktenzeichen: 7 K 1848/21) fest, dass der Beklagte den Kläger in seinem sich aus § 41 Abs. 5 Satz 1, § 36 Abs. 3 Satz 1 SächsGemO i. V. m. §§ 31, 3 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 der Geschäftsordnung des Stadtrates ergebenden Recht verletzt hat.

► Bereits das Verwaltungsgericht Dresden wurde in den Urteilsgründen deutlich:

Das gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche berechtigte Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung ist gegeben, da Wiederholungsgefahr besteht. […] Der Beklagte hält die Nichteinhaltung der Frist für zulässig und bestreitet darüber hinaus, dass dem Kläger ein wehrfähiges Recht zusteht. Damit besteht die konkrete Möglichkeit, dass er ihn in absehbarer Zeit erneut in vergleichbarer Weise in seinem Recht aus § 36 Abs. 3 Satz 1 SächsGemO verletzen könnte.

An der Wirksamkeit dieser Regelungen der Geschäftsordnung, die bereits Gegenstand erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen waren […] bestehen seitens des Gerichts keine Zweifel.

In jedem Fall hätte eine Beratung im Ausschuss für Finanzen unter Einhaltung der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Sechs-Tages-Frist stattfinden können.

Auch der Konstruktion angeblicher Eilfälle erteilte das Gericht eine deutliche Absage: Ob ein Eilfall tatsächlich vorliegt, beurteilt sich aus der ex ante Sicht allein nach objektiven Kriterien zum Zeitpunkt der Ladung. Maßgeblich ist danach, ob die Angelegenheit einen Aufschub bis zu einem Zeitpunkt duldet, zu dem unter Wahrung der üblichen Ladungsfrist einberufen werden kann. Unerheblich sind demgegenüber subjektive Einschätzungen des Bürgermeisters oder Organisationsmängel der Gemeindeverwaltung.

 

Wie hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht entschieden?
Doch statt nunmehr zu beachten, was das Verwaltungsgericht klar und deutlich ausgeführt hatte, blieb Hilbert stur und befasste sogar das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit dem Fall. Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat nun mit Beschluss vom 04. April 2024 (Aktenzeichen: 4 A 220/2023) den Antrag Hilberts, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden zuzulassen, abgelehnt.

► Auszüge aus der Begründung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts:

Auf die von dem Beklagten angestellten Überlegungen […] zu Sinn und Zweck der Regelung und vor allem zur Abwägung der verschiedenen Interessen der Gemeindeorgane oder der wie immer gearteten Gesamtumstände kommt es nach alledem nicht an. Es ist vielmehr gerade Sinn und Zweck einer klaren, eindeutigen und starren Frist, dass solche Überlegungen im Einzelfall nicht angestellt werden müssen und sollen.

Denn die gesetzeskonkretisierende Regelung der Ladungsfrist gilt uneingeschränkt auch für Ausschusssitzungen, auf welche die Geschäftsordnung ihre Wirksamkeit in § 31 Satz 1 GeschO ausdrücklich erstreckt. Dabei ist die Formulierung „sinngemäß“ bei solchen Erstreckungen üblich und will zum Ausdruck bringen, dass dort, wo in der Geschäftsordnung das Wort Stadtrat verwendet wird, stattdessen „Ausschuss“ zu lesen ist. Daraus zu schließen, der Stadtrat habe die normierte Frist für Ausschusssitzungen relativieren wollen, ist fernliegend.

Es unterliegt weiter, anders als der Beklagte […] vorträgt, keinen vernünftigen Zweifeln, dass eine Ladung, die unter Verstoß gegen die in der Geschäftsordnung bestimmte Frist erfolgt ist, das Ausschussmitglied in eigenen Organrechten verletzt.

Im Übrigen ist es rechtsgebietsübergreifend so, dass Ladungsfristen vorrangig dazu dienen, die Verfahrensrechte des Geladenen zu wahren. Das liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

Es mag dahinstehen, ob dem Beklagten die Formulierung grundsätzlicher Fragen gelungen ist. Jedenfalls fehlt es an einer Klärungsbedürftigkeit, weil sich die Antwort ohne weiteres und unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sich durch Subsumtion unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift ohne weiteres beantworten lässt bzw. durch die Rechtsprechung bereits geklärt ist […].

Es spricht nichts dafür, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag des Beklagten in diesem Verfahren […] übergangen hat. Es ist ihm vielmehr nicht gefolgt und hat die vom Beklagten vorgenommene Würdigung […] nicht geteilt.

Dazu erklärt LINKE-Stadtrat Tilo Kießling: Wieder und wieder verletzt der Oberbürgermeister seine Pflicht, die Ratsmitglieder rechtzeitig zu informieren, worüber sie beschließen sollen. Herr Hilbert hat nun bereits mehrfach Recht und Gesetz missachtet. Dagegen müssen wir uns wehren und die demokratischen Spielregeln unserer Stadtgesellschaft gegen derartige Übergriffe verteidigen. Deshalb weise ich auf solche Fehlleistungen hin und kämpfe dagegen an!

Stadtrat Tilo Kießling wurde von dem Dresdner Rechtsanwalt André Schollbach, der auf das Kommunalrecht spezialisiert ist, vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht gegen Oberbürgermeister Dirk Hilbert vertreten.

Rechtsanwalt André Schollbach erklärt: Der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

 

19. April 2024